Die Kunst des Schreibens 1 – laut, schlicht, einfach

KunstdesSchreibens web2Bücher zu kreativem Schreiben sind keine moderne Erscheinung. Schreibtipps für gelungene Texte gibt Anfang des 20. Jahrhunderts bereits Broder Christiansen in «Die Kunst des Schreibens». 

Lange bevor Wolf Schneider zum Sprachpapst wurde und eine Fülle an Creative-Writing-Büchern aus dem englischsprachigen Raum überschwappten, beschäftigten sich Schreibwillige mit der Frage, was einen guten Text ausmacht. Einer war der deutsche Philosoph und Sprachwissenschaftler Broder Christiansen, der um 1918 «Die Kunst des Schreibens» veröffentlichte. Christiansens Prosa-Schule setzt sich aus 12 Briefen zusammen, auf die ich in einer Blogreihe eingehen will. Los geht es mit dem 1. Brief.

Regel 1: Schreiben Sie laut

Christiansen beginnt seine Prosa-Schule im ersten Satz gleich mit der ersten Regel: «Erste Regel sei: laut schreiben!» Nur wenn Sie Ihren Text laut lesen, und zwar bewusst Wort für Wort, hören Sie, was Sie schreiben. Dies gilt auch bei jeder Überarbeitung des Geschriebenen. «Dem guten Stil ist eigen, dass er zum Verlauten anreizt», meint Christiansen. Falls Sie also beim lauten Lesen über eine Formulierung stolpern, ist dies ein Indiz, dass Ihr Text nicht geschmeidig geschrieben ist.

Regel 2: Schreiben Sie schlicht

«Es sei Ihnen strenger Vorsatz, die schlichten Worte und Formen nicht ohne Not [...] zu übersteigern», lautet Christiansens zweite Regel. Wenn etwas bunt oder gross ist, machen Sie es nicht zum grössten oder buntesten. Bleiben Sie schlicht. Machen Sie aus viel nicht sehr viel, überaus viel, äusserst viel. Der Tapfere ist nicht gleich ein Held, der Böse nicht der Teufel, der Begabte kein Genie. Grundlose Steigerungen bewirken nach Christiansen eine «hässlich flackernde Unruhe» im Text.

Regel 3: Schreiben Sie einfach

«Schreiben Sie einfach!», ist Christiansens dritte Regel, die verschiedene Punkte einschliesst:

  • Vermeiden Sie umständliche Ausdrücke: in die Wege leiten, einer Sache Rechnung tragen, in Angriff nehmen. Auch die «müssigen Ausdrücke eitler Bescheidenheit» sind wegzulassen: meines Erachtens, bekanntlich, ehrlich gesagt.
  • Ebenso zu streichen sind bedeutungsleere Ausdrücke (selbstverständlich, beziehungsweise) und unnötige Mittelwörter. Statt «nach der von uns getroffenen Vereinbarung» können Sie «nach unserer Vereinbarung» schreiben.
  • Wenn «und» genügt, sind Umwege über «sowohl als auch», «einerseits, andererseits», «nicht nur, sondern auch» überflüssig. Schreiben Sie nicht: «Nicht nur das Wetter war schön, sondern auch das Essen gut.» Eine Verknüpfung mit «und» reicht: «Das Wetter war schön und das Essen gut.»

Schliesslich spricht sich Christiansen wie viele andere Autoren für aktive statt passive Formulierungen aus. Nicht: «Der Nichtschwimmer wurde vom Feuerwehrmann vor dem Ertrinken gerettet», sondern: «Der Feuerwehrmann rettete den Nichtschwimmer vor dem Ertrinken.»

  • Christiansens Fazit: «Fortan bei jeder Arbeit halten Sie sich gegenwärtig: laut schreiben! schlicht! einfach! Darin ist Anfang und Mittel zu einer wohlklingenden, selbstempfundenen Schrift.»

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