Gendergerechte Sprache: Regelkonforme und nicht regelkonforme Varianten
Die Frage, wie gendergerechte Sprache ausgestaltet sein soll, ist zurzeit nicht abschliessend beantwortbar, weil der gesellschaftliche Aushandlungsprozess noch nicht abgeschlossen ist. Dieser Blogpost enthält deshalb eine Momentaufnahme mit einer Kurzübersicht über praxisrelevante Varianten gendergerechter Sprache. Beleuchtet werden auch häufige sprachliche Stolpersteine, die damit verbunden sind.
Kategorisierung gendergerechter Sprache
Gendergerechte Sprache lässt sich grob in zwei Kategorien einteilen:
- Geschlechtsspezifische Formen machen die Geschlechter sichtbar: «Zuschauerinnen und Zuschauer».
- Geschlechtsneutrale Formen machen das Geschlecht unsichtbar, zum Beispiel «Publikum».
Je nachdem, welche Zielgruppe oder Geschlechter berücksichtigt werden sollen, empfiehlt es sich, zwischen diesen Varianten zu unterscheiden. Will man auch non-binäre Menschen berücksichtigen, sind geschlechtsneutrale Formen wahrscheinlich sinnvoller.
Regelkonforme Genderformen
Laut dem amtlichen Regelwerk für die deutsche Rechtschreibung gibt es mehrere Möglichkeiten, gendergerecht und regelkonform zu schreiben:
- Paarformen: Diese Variante unterteilt Personen in die Kategorien männlich und weiblich, z. B. «Bürgerinnen und Bürger».
- Sparschreibungen: Hierbei werden mit Schrägstrich oder Klammer beide Geschlechter angedeutet, z.B. «Bürger/-in», «Studenten/Studentinnen» oder «Mitarbeiter(in)». Die Schreibeweise mit Klammer ist in der Praxis aber nur noch selten zu finden und gilt als veraltet.
- Substantivierungen: Hierbei wird aus Adjektiven oder Partizipien ein Substantiv gebildet. Aus dem Adjektiv «jugendlich» werden «die Jugendlichen», aus dem Partizip I «alleinerziehend» werden die «Alleinerziehenden» und aus dem Partizip II «angestellt» werden «die Angestellten».
- Geschlechtsneutrale Nomen und Kollektivbezeichnungen: Wörter wie «Lehrkraft» oder «Fachperson» sind geschlechtsunspezifisch, da das Geschlecht nicht explizit genannt wird. Auch lassen sich ganze Gruppen von Menschen mit Kollektivbezeichnungen umschreiben, z. B. «Publikum» statt «Zuschauerinnen und Zuschauer» oder «Gericht» statt die «Richterinnen und Richter».
Nicht regelkonforme Varianten
Die Verwendung von Sonderzeichen zur Darstellung der Geschlechtervielfalt ist zurzeit nicht regelkonform. Der Rat für deutsche Rechtschreibung hält dazu fest, dass «Wortbinnenzeichen» wie Genderstern, Genderdoppelpunkt oder Unterstrich (Gendergap) nicht Teil des «Standardinventars» der deutschen Rechtschreibung sind. Gleiches gilt für das Binnen-I (z.B. «MitarbeiterInnen»). Siehe auch meinen Beitrag zur neuen deutschen Rechtschreibung 2024.
Trotzdem haben sich einige dieser Schreibweisen in der Praxis etabliert, wie folgende Grafik einer Untersuchung des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache zeigt.
Aus der Grafik ist am Beispiel des Wortes «Nutzer» ersichtlich, dass gendergerechte Formen seit 2016 vermehrt zum Einsatz kommen. Vor allem der Genderdoppelpunkt und der Genderstern werden zunehmend genutzt, während das Binnen-I und der Unterstrich an Bedeutung verlieren.
Grammatische und orthografische Stolpersteine beim Gendern
Beim Gendern können grammatikalische und orthografische Probleme entstehen. Beispielsweise lässt sich die weibliche Form bei Wörtern wie «Arzt» nicht einfach durch Anhängen der weiblichen Endung «-in» bilden. Dann ergäbe sich das Wort «Arztin» (ohne Ä). Der Genderdoppelpunkt in «Ärzt:in» (oder auch Arzt:in) bleibt deshalb umstritten, da die korrekte männliche (bzw. weibliche) Wortform darin nicht ersichtlich ist.
Zu erwähnen ist allerdings, dass es auch Stimmen gibt, die Wortbildungen wie «Ärzt:in» für unproblematisch halten, da sie diese nicht als Sparschreibung verstehen, die sich aus der männlichen und der weiblichen Wortform ergibt, sondern als dritte Wortvariante, die gleichberechtigt neben «Arzt» und «Ärztin» steht.
Bei einigen Wörtern entsteht dieses Problem übrigens nur im Plural. Während bei «Student:in» sowohl «Student» als auch «Studentin» korrekt im gegenderten Wort sichtbar ist, ist im Plural «Student:innen» die männliche Form (Studenten) nicht korrekt enthalten.
Adjektive, Pronomen, Artikel gendern
Ein weiteres Beispiel für einen sprachlichen Stolperstein wird in folgendem Satz deutlich: «Wir suchen einen neuen Mitarbeiter:in, der uns unterstützt.» Hier wird nur das Substantiv gegendert, aber es wäre auch notwendig, alle Pronomen, Artikel bzw. Adjektive ebenfalls zu gendern: «Wir suchen eine:n neue:n Mitarbeiter:in, die:der uns unterstützt.»
Um solche komplizierten, kaum mehr lesbaren Konstruktionen zu vermeiden, bietet sich oft der Plural an: «Wir suchen neue Mitarbeiter:innen, die uns unterstützen.»
Stolpersteine bei geschlechtsunspezifischen Nomen
Eine weitere Fehlerquelle ist die unnötige Spezifizierung des Geschlechts bei geschlechtsneutralen Nomen. So ist zum Beispiel der Begriff «Mitglied» ein sächliches Substantiv (das Mitglied), eine Anpassung zu «die Mitgliederin» ist deshalb nicht sinnvoll.
Auch sollte man vermeiden, gegenderte Formen wieder geschlechtsspezifisch einzusetzen, wenn es um konkrete Personen geht. Wenn man beispielsweise sagt: «Wir begrüssen unseren neuen Mitarbeitenden Rolf Meier», könnte man problemlos das Wort «Mitarbeiter» nutzen, statt die gegenderte Variante «die Mitarbeitenden» wieder zu «der Mitarbeitende» zu «vermännlichen».
Merkblatt zum Gendern mit dem Wichtigsten in Kürze
Das Wichtigste in Kürze aus diesem Blogpost finden Sie auch in folgendem Merkblatt, das Sie gratis herunterladen können.
Empfehlung für die Praxis
Meine Empfehlung für die Praxis ist: Falls Sie gendern wollen, entscheiden Sie sich für eine Variante. Wenn Sie z. B. den Genderdoppelpunkt nutzen möchten, dann setzen Sie ihn konsequent ein und vermischen Sie ihn nicht mit andern Genderzeichen wie dem Genderstern. Behalten Sie auch die erwähnten sprachlichen Stolpersteine beim Gendern im Auge und berücksichtigen Sie firmeninterne Richtlinien und Leitfäden zur geschlechtergerechten Sprache.
Und vor allem finde ich: Auch wenn das Thema kontrovers ist, bleiben Sie gelassen :-)
Fazit zum Gendern
Die gendergerechte Sprache wird aus meiner Sicht weiterhin relevant bleiben. Egal, ob Sie regelkonforme oder nicht regelkonforme Varianten nutzen, der Schlüssel liegt in der Konsistenz und in der Berücksichtigung der jeweiligen Zielgruppe, an die sich ein Text richtet. Wer sprachliche Stolpersteine vermeidet und auf eine klare Linie bei der geschlechtergerechten Sprache achtet, kann gendergerecht formulieren, ohne die Lesbarkeit seiner Texte zu beeinträchtigen.
Video zum Gendern
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DUDEN: Die neue deutsche Rechtschreibung*
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